TEL.: +49 761 386 909-0        |        OFFICE@MICROTEC-SUEDWEST.DE

    logo microtec

    • News

       

    18.07.2019

    Mitgliederinterviews – Herr Prof. Dr. Jürgen Rühe (IMTEK)

    • microTEC Südwest: Guten Tag, Herr Prof. Rühe, bitte stellen Sie sich unseren Lesern kurz vor.

      Prof. Rühe: Seit mittlerweile circa 19 Jahren bin ich hier an der Universität Freiburg tätig. Ich habe in Münster Chemie studiert und in Mainz im Fach Makromolekulare Chemie zu leitfähigen Kunststoffen promoviert. Nach einem kurzen Zwischenspiel an der Universität Cambridge war ich bei IBM in San Jose, Kalifornien, als Postdoc tätig und konnte so Industrieerfahrung auf dem Gebiet der Oberflächenbeschichtung von Computerfestplatten sammeln. Nach Stationen an der Universität Bayreuth und dem Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz bin ich hier in Freiburg gelandet. Ich habe hier eine Professur für Chemie und Physik der Grenzflächen am Institut für Mikrosystemtechnik inne und befasse mich mit der Erforschung von neuen Methoden zur Modifizierung von Oberflächen. Zusätzlich bin ich geschäftsführender Direktor des FIT (Freiburger Zentrum für Interaktive Materialien und bioinspirierte Technologien) und Sprecher des Exzellenzclusters livMatS (living and energy-autonomous materials systems). Weiterhin vertrete ich die Profillinie der Universität Freiburg „Funktionelle und Bioinspirierte Materialien“.

       

      microTEC Südwest: Wie sind Sie erstmalig mit microTEC Südwest in Berührung gekommen?

      Prof. Rühe: Ich gehöre mittlerweile zu den „Urgesteinen“ von microTEC Südwest. Ich bin eines der Gründungsmitglieder von MST-BW, was ja der ursprüngliche Name von microTEC Südwest war. Beginnend mit einer wegführenden Auftaktsitzung im Ministerium in Stuttgart haben wir damals intensiv die Vereinsgründung vorangetrieben. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie der Kollege Keip und ich nach erfolgter Vereinsgründung die ersten Mitarbeiter von MST-BW, Herrn Jeuk und sein Sekretariat im Vorstellungsgespräch hatten und dann auch angeheuert haben. Die nachfolgende Zeit war davon geprägt, wie wir mit einem sehr kleinen Team in einer sehr großartigen Teamarbeit die (letztendlich erfolgreiche) Antragstellung im Rahmen des Spitzenclusterwettbewerbs des BMBF entwickelt haben. Das war arbeitsreich, aber auch vielseitig und äußerst spannend.

       

      microTEC Südwest: Könnten Sie nun bitte auch Ihr Institut vorstellen? Was machen Sie, an wen wenden Sie sich?

      Prof. Rühe: Ich gehöre dem Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg an. Das IMTEK umfasst 24 Professuren, etwa 370 wissenschaftliche Mitarbeiter sowie etwa 650 Studierende. Es gehört damit zu den weltweit größten und führenden akademischen Forschungszentren auf dem Gebiet der Mikrosystemtechnik. Am Institut erforschen meine Kolleginnen und Kollegen und ich die Entwicklung von neuartigen Mikrosystemen vom Design, über die Entwicklung neuer Materialien und Prozesse bis zu einer Kleinserienfertigung. Ein besonderer Schwerpunkt des Instituts ist dabei die Entwicklung von Mikrosystemen für biomedizinische Anwendungen.

      Gleichzeitig gehöre ich dem Freiburger Zentrum für Interaktive Werkstoffe und bioinspirierte Technologien (FIT) an. In diesem ausschließlich der Grundlagenforschung verpflichteten Zentrum bündelt die Universität Freiburg ihre Kernkompetenzen aus den Bereichen Chemie, Physik, Materialforschung, Mikrosystemtechnik, Polymerwissenschaften, Bionik und Medizin zur Entwicklung von neuartigen Materialien und Systemen mit adaptiven und lebensähnlichen Eigenschaften. Schwerpunkte sind dabei adaptive und aktive polymere Werkstoffe, biomimetische, biobasierte und bioaktive Materialsysteme und die Entwicklung von Systemen für Energiewandlung, Energiespeicherung und Energieautarkie .

       

      microTEC Südwest: Das hört sich alles sehr interessant an. Welche Aktivitäten im microTEC Südwest-Netzwerk sind für Sie besonders wertvoll und warum?

      Prof. Rühe: Für mich sind die Fachgruppentreffen und die Clusterkonferenzen besonders wichtig, weil sie von großer Bedeutung für das Netzwerken sind. Hier kann ich mich in zwangloser Runde mit Kolleginnen und Kollegen aus Firmen und Forschungsinstituten treffen und austauschen. Diese Vernetzung erlaubt es Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen. Dadurch komme ich auch stets mit neuen Themen und Problemstellungen in Kontakt, was sich sehr fruchtbar auf unsere Arbeiten auswirkt. Das ist für die universitäre Forschung sehr wichtig, da Technologietransfer nicht eine Einbahnstraße darstellt und durch die Diskussion mit den Kolleginnen und Kollegen in der Industrie viele attraktive neue Fragestellungen an uns herangetragen werden.

      Weiterhin erlauben die microTEC Südwest-Aktivitäten auch bestimmte Themen in die Politik zu tragen. Auch wenn der Erfolg von solchen Aktivitäten nicht immer sofort sichtbar ist, erlaubt es doch die Probleme und Ideen vorzutragen und zu diskutieren.

       

      microTEC Südwest: Welche Bedeutung messen Sie unseren Fachgruppen zu?

      Prof. Rühe: Die Fachgruppen gehören für mich zu den großen Positiva von microTEC Südwest. Sie haben große Bedeutung, da sie einen sehr konkreten Austausch speziell auch mit den Kolleginnen und Kollegen in der Industrie erlauben.

       

      microTEC Südwest: Was würden Sie sich noch wünschen von microTEC Südwest?

      Prof. Rühe: Ich würde mir wünschen, dass wir nochmals so konzertierte Antragslinien wie in der Anfangszeit von microTEC Südwest  auflegen könnten. Diese fand ich für die F&E Aktivitäten in Baden-Württemberg und darüber hinaus sehr bedeutsam. 

       

      microTEC Südwest: Nun noch ein paar Fragen zu Ihnen als Person. Wir würden uns freuen, wenn wir und unsere Leser Sie ein wenig besser kennenlernen dürften. Was fasziniert Sie an Ihrem Fachgebiet/Ihrem Aufgabenspektrum am IMTEK?

      Prof. Rühe: Die Vielseitigkeit meiner Tätigkeit. Kein Tag ist wie der andere und so etwas wie Routine gibt es nicht. Wissenschaftliche Forschung ist ein permanentes Abenteuer. Was meine Arbeit ebenso spannend macht, ist der Austausch mit vielen Menschen mit einem sehr unterschiedlichen Hintergrund. Wir sind ausgezeichnet mit den Kolleginnen und Kollegen hier in Freiburg, aber auch am Oberrhein, speziell mit Strasbourg und Mulhouse, und natürlich auch weltweit vernetzt. In meiner Arbeitsgruppe sind Mitglieder sehr unterschiedlicher nationaler Herkunft vereint. Der bei dieser Zusammenarbeit entstehende interkulturelle Dialog ist für mich stets sehr bereichernd.

      Bei meiner Arbeit finde ich besonders die Zusammenarbeit mit den vielen verschiedenen Fachdisziplinen spannend. Diese reicht von den Ingenieurwissenschaften, Chemie und Physik bis zu Biologie und Medizin und gelegentlich noch deutlich darüber hinaus. Man lernt täglich Neues dazu und darf an vielen sehr unterschiedlich gelagerten Problemen arbeiten. Ich habe in meiner Tätigkeit die Chance den ganzen Tag meinen Interessen nachzugehen und beziehe auch noch ein Gehalt dafür! Die enge Zusammenarbeit, die von der Grundlagenforschung bis zu stark industrienahen Projekten reicht, finde ich extrem bereichernd.

      Besondere Freude macht mir die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von jungen Leuten, die mit Enthusiasmus und Energie sich unseren Forschungsanstrengungen widmen. Zwar muss man sich manchmal ein Tränchen verkneifen, wenn ein Mitarbeiter oder Mitarbeiterin mit dem oder der man über mehrere Jahre ausgezeichnet zusammengearbeitet hat und die man persönlich sehr schätzt, die Uni verlässt, um eine erfolgreiche Karriere außerhalb ihrer Alma Mater zu starten, aber das ist im universitären Leben unabdingbar und gewissermaßen systemimmanent.

       

      microTEC Südwest: Wo in Freiburg halten Sie sich am liebsten auf?

      Prof. Rühe: Auch auf die Gefahr, dass es ein bisschen wie ein „Nerd“ klingt, halte ich mich in Freiburg am liebsten in meinem Labor auf und knoble mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern coole neue Wissenschaft aus. Wenn man eine lange Zeit sehr viel Arbeit, Mühe und Geduld in die Lösung von kniffligen Fragestellungen gesteckt hat, und dann eine Lösung zu diesen Problemen findet, ist das ein unbeschreibliches Gefühl.

      Wenn man die Ortsfrage nicht gar so eng fasst und sich auf Freiburg als Stadt selbst begrenzt, bin ich am liebsten bei meiner Familie am Kaiserstuhl. Dort in den Weinbergen und in den Wäldern bin ich gerne mit dem Fahrrad oder als Läufer unterwegs.

       

      microTEC Südwest: Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick in die Zukunft wagen. Was denken Sie, wird sich, sagen wir in 50 Jahren, bemerkenswert geändert haben? Haben Sie einen Vision?

      Prof. Rühe: In den siebziger Jahren gab es umfangreiche Zukunftsforschung. Davon hat sich praktisch alles (von der Weltraumkolonialisierung bis zur Energiegewinnung aus Kernfusion) als falsch oder zumindest ungenau erwiesen. Gerade die Innovationen, die die Welt und die Beziehungen zwischen den Menschen in dieser Welt am stärksten verändert haben, sind nicht ansatzweise erkannt worden. Die Zukunft vorherzusagen - als ein alter Menschheitstraum - hat sich bislang stets als ein vergebliches Unterfangen gezeigt, da man technologische Entwicklung und menschliches Verhalten nicht einfach linear über einen größeren Zeitraum extrapolieren kann. Die Unmöglichkeit die Zukunft vorherzusagen ist vielleicht auch gut so, da mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende Ereignisse zu Fatalismus führen, eine lähmenden Wirkung auf ein aktives Handeln haben und Spontanität und Kreativität vernichten. Jedoch wäre meine Vision und auch eine Hoffnung, die ich hege, dass wir uns in den nächsten 50 Jahren sehr viel mehr in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft entwickeln und weniger auf „Pump“ von den zukünftigen Generationen leben. Ich glaube, dass wir das hinkriegen können, wir müssen es nur wollen.

       

      microTEC Südwest: Welche Zukunftsthemen werden in diesem Jahr Ihrer Meinung nach besonderes Gewicht haben?

      Prof. Rühe: In diesem Jahr werden ohne Frage Digitalisierung, Mobilität und die Energiewende eine große Bedeutung haben – wie eigentlich schon in den letzten und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch den kommen Jahren. Das Thema Klimawandel wird uns so schnell nicht verlassen. Auf diesen Themengebieten sehe ich große neue Chancen und Potentiale für uns als Technologiestandort. Wir an der Universität, aber auch ganz persönlich, werden versuchen mit neuen Materialien und Prozessen intensiv dazu beizutragen.

       

      microTEC Südwest: Möchten Sie unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?

      Prof. Rühe: Eigentlich mag ich so „famous last words“ nicht so sehr. Da kommen oft recht hohle Sprüche heraus. Jedoch möchte ich alle bitten, auch in Zukunft die Fahne der Rationalität hochzuhalten. In Zeiten von fake news und von Stimmungsmache ist es unser aller Verpflichtung, uns für die Beibehaltung von Rationalität, Bildung und Wissenschaftlichkeit einzusetzen. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit. Ansonsten finde ich es wichtig, dass wir dem weit verbreiteten Pessimismus entgegenstehen und optimistisch in die Zukunft blicken.

       

      microTEC Südwest: Herzlichen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben, um unserer Fragen zu beantworten. Wir wünschen Ihnen eine gute Zeit und viel Erfolg.